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Olympisches Golfen

© Bilder zVg

Olympisches Golfen: 121 Jahre und gerade mal vier Wettbewerbe

 

Paris 1900, St. Louis 1904, Rio de Janeiro 2016 und Tokio 2021 sind die bislang einzigen Spiele.

Compiègne – das nordfranzösische Städtchen mit seinen 40.000 Einwohnern und insbesondere der umliegende Wald ist den meisten Menschen vor allem als Ort von militärhistorischer Bedeutung aus dem Geschichtsunterricht bekannt. In einem Eisenbahnwaggon wurde hier am 11. November 1918 zwischen den Westmächten England und Frankreich und dem deutschen Kaiserreich der erste Waffenstillstand von Compiègne geschlossen. Er beendete den Ersten Weltkrieg. 22 Jahre später, am 22. Juni 1940 unterzeichnete Frankreich an gleicher Stelle seine Kapitulation vor dem Deutschen Reich. Für die Unterzeichnung des zweiten Waffenstillstands von Compiègne hatte Hitler eigens den alten Eisenbahn-Salonwagen aus dem Museum holen lassen, um die zuvor erlittene „Schmach“ symbolträchtig zu tilgen.
 
Doch Compiègne hat auch eine sportliche Geschichte. Denn hier fanden bei den Olympischen Spielen von Paris im Jahr 1900 auf der 9-Loch-Anlage der Société du Sport die Golfwettbewerbe statt. Ein aus vielerlei Gründen besonderes Ereignis: Es war das erste Mal, dass der – damals noch mehr wie heute – als elitär geltende Sport im Rahmen einer Massenveranstaltung und im Konzert mit anderen, bürgerlichen Sportarten ausgetragen wurde. Zudem gab es einen Wettkampf für Männer und einen für Frauen – durchaus nicht alltäglich für die damalige Zeit. Und schließlich war es eines von ganz wenigen Malen, dass Golfen überhaupt olympisch war. Nach den Spielen von St. Louis 1904 war 112 Jahre Schluss. Erst 2016 in Rio de Janeiro gab es wieder Golfen bei Olympia und in diesem Jahr in Tokio wird es zum vierten Mal der Fall sein.
 
1900 wurden die Spiele – damals die Internationalen Wettbewerbe für Leibesübungen und Sport – im Rahmen der Weltausstellung (Exposition Universelle et Internationale de Paris) in der französischen Hauptstadt ausgetragen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) ordnete sie dem Programm der Olympischen Sommerspiele 1900 (Spiele der II. Olympiade) zu. Golf war damals in vornehmen und adligen Kreisen hoch angesehen. Trotz prämierter Wettbewerbe waren die Spieler allesamt Amateure, da sie sich ihren Lebensunterhalt nicht mit dem Sport verdienen mussten. Deshalb ist es erklärlich, dass sich das IOC damals dazu entschieden hatte, Golf als olympische Sportart zu betrachten.
 
Welche Bedeutung die Organisatoren dem olympischen Golfen damals beimaßen, zeigte sich auch bei den Prämien: Goldene Plaketten für die Sieger, vergoldete für Platz zwei, silberne für Rang drei, versilberte für die Vierten und bronzene für die Fünften. 22 Spieler und Spielerinnen aus vier Nationen nahmen an den beiden Wettbewerben teil, die am 2. und 3. Oktober 1900 stattfanden. Bei den Herren wurden vier Runden mit insgesamt 36 Löchern gespielt. Es siegte der US-Amerikaner Charles Sands, der für den Royal and Ancient Golf Club of St Andrews antrat. Er benötigte 167 Schläge. Golf war dabei nicht einmal sein Lieblingssport und eigentlich war er damit auch nicht besonders erfolgreich: Seine Leidenschaft galt dem Jeu de Paume, auch Court Tennis genannt. Folgerichtig nahm er auch am olympischen Tennisturnier teil, schied dort aber in der ersten Runde aus.
 
Dass es einen Damenwettbewerb gab, mutet aus Sicht des Golfsports wenig besonders an, denn bereits 1810 wurde das erste Golfturnier nur für Frauen veranstaltet und schon 1867 gab es den ersten rein weiblichen Golfclub. Für den olympischen Gedanken war es jedoch eine wegweisende Entscheidung. In Paris wetteiferten zehn Teilnehmerinnen aus zwei Ländern – USA und Frankreich – miteinander. Es wurde nur eine Runde mit neun Löchern gespielt. Mit zwei Schlägen Vorsprung siegte die in Kalkutta geborene US-Amerikanerin Margaret Abbott. Da alle Medaillen an US-Amerikanerinnen gingen, wird noch heute spekuliert, dass die teilnehmenden Französinnen in High Heels und auch sonst mit für den Golfsport unpassender Kleidung spielten.
 
Abbott war mit ihrem Triumph die erste US-amerikanische und zweite Olympiasiegerin überhaupt. Ihre Mutter Mary Ives Abbott nahm ebenfalls am Turnier teil und wurde Siebente. Die beiden kunstbegeisterten Damen waren eigentlich für die Weltausstellung in Paris, außerdem wollten sie bei Degas und Rodin Kunst studieren. Ihre Freizeit vertrieben sie sich mit der Teilnahme an Golfwettbewerben. Deshalb meldeten sie sich auch für das olympische Turnier an. Es ist jedoch bis heute unbekannt, ob sie überhaupt wussten, damit zu Olympioniken zu werden. Deshalb gilt es als möglich, dass Abbott bis zu ihrem Tod nicht wusste, Olympiasiegerin zu sein.

Vier Jahre später in St. Louis war der olympische Golfwettbewerb eine reine Nordamerika-Meisterschaft, die ausschließlich unter Männern ausgetragen wurde. Vom 16. bis 24. September 1904 kämpften 74 Sportler aus den USA und gerade mal drei aus Kanada im Glen Echo Country Club im Vorort Normandy um die Medaillen bei einer Einzel- und einer Mannschaftswertung. Alle Teilnehmer mussten fünf Dollar Startgeld zahlen und versichern, dass sie Amateure waren. Trotz zahlreicher Einladungen in andere Länder meldeten sich keine Golfer aus dem Ausland. Der Glen Echo Country Club war drei Jahre zuvor gegründet worden. Nachdem bekannt geworden war, dass in St. Louis die Weltausstellung und Olympia stattfinden würden, investierte der Golfclub in ein neues Vereinshaus, bewarb sich für die Spiele und erhielt schließlich den Zuschlag. 
 
Im Mannschaftswettbewerb stand von vornherein fest, dass die USA Gold holen würden, denn es standen sich mit der Trans Mississippi Golf Association, der Western Golf Association und der aus zufällig anwesenden Einzelspielern gebildeten United States Golf Association drei US-amerikanische Teams gegenüber. Die Western Golf Association setzte sich durch. Am Einzelwettbewerb nahmen 74 Golfer teil, von denen jeder zunächst 36 Löcher (zwei Runden) im stroke play (Zählspiel-Verfahren) als Qualifikation spielen musste. Die 32 Besten erreichten die erste Runde. Ab hier und in zwei weiteren Vorrunden sowie im Halbfinale und im Finale wurde im match play (Lochspiel-Verfahren) gespielt. Am Ende standen sich der favorisierte US-Amerikaner Chandler Egan sowie die als Außenseiter gehandelte Kanadier George Lyon im Finale gegenüber. Bei beständigem Regen siegte Lyon mit 3:2. 
 
Fünfter und Silbermedaillen-Gewinner mit der Mannschaft wurde in St. Louis Albert Bond Lambert, ein Golfer, der bereits vier Jahre zuvor in Paris teilgenommen und dort den achten Rang erreicht hatte. Der spätere Luftfahrtpionier und Veteran des Ersten Weltkriegs hatte nach dem Wettbewerb in Frankreich zusammen mit seinem Schwiegervater George McGrew den Glen Echo Country Club gegründet. Später baute er in seiner Heimatstadt einen Ballon-Startplatz, aus dem 1920 der Saint Louis Lambert International Airport entstand. Sein Vater Jordan W. Lambert hatte 1885 die Lambert Pharmacal Company gegründet, in die Albert 1896 als President einstieg. Das Unternehmen ist mit seinem weltbekannten Produkt Listerine noch heute sprichwörtlich in aller Munde.
 
Nach Lambert vergingen 112 Jahre, bis mit Inbee Park und Justin Rose zwei Golf-Olympiasieger gekürt wurden. Die Koreanerin und der Engländer siegten bei den Olympischen Spielen von Rio de Janeiro – bei ungleich größerer Konkurrenz. Im Campo Olímpico de Golfe traten vom 11. bis 20. August 2016 je 60 weibliche und männliche Athleten aus insgesamt 41 Nationen im stroke play gegeneinander an. Beide Turniere wurde über vier Runden à 18 Loch auf dem Par-71-Platz ausgetragen, wobei die Top-Golfer Jason Day, Dustin Johnson, Jordan Spieth und Rory McIlroy aus zum Teil fadenscheinigen Gründen nicht an den Start gingen. Hinter vorgehaltener Hand hielten sie den Wettbewerb für belanglos.
 
Dass Golf wieder olympisch wird, war 2009 bei der Sitzung der 121. Vollversammlung des IOC in Kopenhagen beschlossen worden. Damals gab es 63 Ja- und 27 Nein-Stimmen sowie zwei Enthaltungen. „Die Zeit wird zeigen, dass Ihre Entscheidung weise war“, versprach IOC-Präsident Jacques Rogge nach der Wahl. Er sollte recht behalten. Während die Spiele in Brasilien im Allgemeinen zum Teil kritisiert wurden, zeigten sich insbesondere die Golfer vor Ort hochzufrieden. Auch der neu gebaute Platz, der Olympic Golf Course von Designer Gil Hanse, erhielt viel Lob. Am Finaltag der Herren waren knapp 13.000 Zuschauer vor Ort. Von diesen schienen jedoch nicht alle mit den Regeln vertraut zu sein: Gleich mehrmals gab es Vorfälle, bei denen während des Spiels von Umstehenden Bälle angefasst, gefangen oder sogar weggeworfen wurden.
 
 
„Wir sind überzeugt, dass die Werte unseres Sports sehr gut mit denen der olympischen Bewegung übereinstimmen. Ich bin hoffnungsvoll und zuversichtlich, dass Golf auch über 2020 eine Rolle in den Olympischen Spielen haben wird“, sagte Peter Dawson, Präsident der International Golf Federation, mit Blick auf die ursprünglich für 2020 geplanten und aufgrund der Corona-Pandemie auf dieses Jahr verschobenen Spiele von Tokio. Im Kasumigaseki Country Club werden wie 2016 zwei Wettbewerbe im Golf ausgetragen, je einer für Damen und Herren in der Zählspielweise. Am Turnier nehmen bei den Frauen und Männern jeweils 60 Athleten teil. Die Qualifikation erfolgt über die Golfweltrangliste. Zudem erhalten Japan und jeder Kontinent (Afrika, Amerika, Asien, Europa und Ozeanien) einen Quotenplatz.

 

Text Marcus Reichl von unserem Partner Nineteen.Golf www.nineteen.golf